Glossar: Kritisches Erwachsensein

von ManuEla Ritz

Zeichnung von ManuEla Ritz, Copyrights: Unrast Verlag

Als Kind wahrgenommen zu werden, als Jugendliche*r oder Erwachsene*r, unterliegt – wie jedes andere identitätsstiftende Merkmal auch – sozialen Konstruktionen. Das Alter eines Menschen ist ausschlaggebend dafür, wo er sich in der gesellschaftlichen Hierarchie wiederfindet, wieviel Macht und welche Privilegien einer Person zugestanden werden. Kritisches Erwachsensein bedeutet, sich der eigenen Position als Erwachsene*r bewusst zu sein. Denn diese Position verleiht Macht und Macht verlangt nach einem Bewusstsein für Verantwortung. Ein paar Ideen, wie du zu einer kritischen erwachsenen Person werden kannst.

K wie Klarheit

Mach dir klar, welches Menschenbild du von jungen Menschen hast!

R wie Reset

Stell dein Menschenbild in die Ecke und lerne jeden jungen Menschen, der in dein Leben tritt, vorurteilsfrei kennen.

I wie Innehalten

Halte einmal inne und mach dir bewusst, welche erwachsenen-spezifischen Privilegien du hast.

T wie Teilen

Prüfe, welche Privilegien du mit jungen Menschen teilen kannst und/oder überlege, welche deiner Privilegien du wie einsetzen kannst, um junge Menschen zu unterstützen bzw. ihr Leben zu erleichtern.

I wie Interaktion

Komme mit jungen Menschen darüber ins Gespräch, wie ihr euch eure Interaktion mit- bzw. eurer Beziehung zueinander vorstellt und denke darüber nach, was du tun und lassen kannst und musst, damit dein/euer Beziehungsbild gelebt werden kann.

S wie Sprache

Finde eine Sprache, welche die jeweiligen jungen Menschen, mit denen du sprichst, gut verstehen und hören können. Wenn dir das nicht gelingt, frage die jungen Menschen, wie sie dich gut hören können.

C wie Commitment

Komme mit jungen Menschen über eure persönlichen Grenzen ins Gespräch und findet ein Commitment, wie ihr eure Grenzen gegenseitig wahren könnt.

H wie Hineinfühlen

Ermutige junge Personen, über ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen und sprich zu geeigneten Zeiten und in angemessenem Maß über deine eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse.

E wie Emotion

Liebe ist eine Emotion, manchmal aber auch eine Entscheidung. Denk darüber nach, wie sich Liebe für dich als junger Mensch angefühlt hat, was Liebe für dich ist und woran du liebevolles Handeln erkannt hast und erkennst. Frage junge Menschen, was du tun und lassen musst, damit sie sich von dir geliebt fühlen.

S wie Suchen

Suche den Tag nach „Fallen“ ab, die du - wenn auch unbewusst - aufgestellt hast und die zu Ärger und/oder Verletzung geführt haben. Überlege, was du morgen anders machen kannst.

E wie Entscheidung

Entscheide, welche Werte dir so wichtig sind, dass du sie an die nächste Generation weitergeben möchtest. Überlege dann, wie du leben und sein musst, um diese Werte zu vermitteln.

R wie Revidieren

Vergegenwärtige dir, welches Verhalten von Erwachsenen dich als junger Mensch geärgert, genervt und/oder verletzt hat. Überlege dir, wie du sicherstellen kannst, dieses Verhalten nicht zu wiederholen.

W wie Widerstand

Stemple bestimmte Verhaltensweisen junger Menschen nicht leichtfertig ab, sondern finde heraus, ob sie Ausdruck von Widerstand sind. Wenn du bestimmte Verhaltensweisen von jungen Menschen als Widerstand erkennst, versuche herauszufinden, wogegen rebelliert wird, z.B. indem du fragst ;).

A wie Allyship

Beschäftige dich mit Konzepten von Bündnispartner*innenschaft und Allyship und biete dich jungen Menschen unabhängig von schwierigen Situationen, als Bündnispartner*in und/oder Ermöglicher*in an.

C wie Courage

Hab den Mut, dich mit jungen Menschen zu solidarisieren, auch wenn du Gefahr läufst, von anderen Erwachsenen als sonderbar und/oder unprofessionell wahrgenommen zu werden. Finde heraus, was du gewinnst, wenn du dich gemeinsam mit jungen Menschen für deren Belange einsetzt.

H wie Hilfe

Wenn du überlastet bist und/oder mehr Zeit für dich brauchst: Überlege, wie du dir Hilfe und Unterstützung organisieren kannst und besprich mit der unterstützenden Person konkret und verbindlich, wann und wie sie dich unterstützen und entlasten kann.

S wie Stress

Finde heraus, was dich stresst, wie du in stressigen Situationen sprichst und agierst und probiere dann aus, was dir hilft, stressige Situationen zu vermeiden oder anders mit ihnen umzugehen.

E wie Empowerment

Kreiere Situationen und Settings, in denen sich junge Menschen als selbstwirksam erleben können.

N wie Nicht spielen

Gehst du in eine Rolle (als Mutter*, Vater*, Erzieher*in, Lehrer*in etc.), spielst du möglicherweise Theater. Doch (junge) Menschen sehnen sich nach echten Begegnungen mit echten Menschen. Also sei du selbst (nicht nur im Kontakt mit jungen Menschen).

S wie Spielen

Lass dich auf Spiele ein, die jungen Menschen dir anbieten. Miteinander (nicht gegeneinander) zu spielen verbindet, lässt uns einander besser kennenlernen und macht obendrein Spaß.

E wie Entschuldigung

Bitte um Verzeihung, wenn du einen jungen Menschen enttäuscht und/oder verletzt hast.

I wie Integrität

Integrität bedeutet, „zu sich selbst Ja zu sagen – und auch mal Nein zu Wünschen anderer.“[1] Achte darauf, dass dein Nein liebevoll und gut begründet ausgesprochen wird.

N wie Neugier

Sei neugierig darauf und offen dafür, was du von jungen Menschen lernen kannst.

Werde Schritt für Schritt zur besten Version Deiner selbst.


ManuEla Ritz ist Schwarze deutsche Mutter, Dipl.-Sozialpädagogin, Teamerin, Coachin und Autorin. Seit zwei Jahrzehnten ist sie in der politischen Bildungsarbeit gegen Diskriminierung und für machtkritische Diversifizierung tätig. Ihre Schwerpunkte sind Adultismus, Anti-Rassismus und Empowerment für Menschen mit Rassismus-Erfahrungen sowie die Thematisierung des Machtverhältnisses zwischen Ost- und Westdeutschland. Zusammen mit ihrer Tochter Simbi Schwarz brachte sie 2022 das Wendebuch „Adultismus und kritisches Erwachsensein“ heraus.


[1] Juul, J. „Vier Werte, die Familien tragen“ S. 59